Lena aus Hamburg besuchte das Village Mutoto
Zwei Monate im Village Mutoto in Lubumbashi – Lena aus Hamburg erfüllte sich einen Lebenstraum, lebte und jonglierte mit den Menschen im Zentrum des Vereins Mutoto. Lest hier ihren einfühlsamen und persönlichen Reisebericht:
„Als ich im Flieger von Addis Abeba nach Lubumbashi sitze, versuche ich, jegliche Vorstellungen und Vorfreuden auf meine große Reise aus meinen Gedanken zu radieren und mich ab jetzt vollkommen auf jede Überraschung einzulassen. Mein zweimonatiger Aufenthalt in Lubumbashi, Kongo ist kein Zukunftstraum mehr. Ich habe es getan und bin so schnell ins kalte Wasser gesprungen, dass sich mein Körper noch nicht bewusst werde konnte, was er eigentlich tut. Wenige Stunden später landet ein Flugzeug im strömenden Regen in einem Land, in welchem mir selbst der Regen zunächst fremd scheint. Als ich die Flugzeughalle betrete, sind meine Ohren und Augen überall, doch tatsächlich etwas aufnehmen tue ich nicht, ich bin schon mit der Aufgabe überfordert herauszufinden, dass die Frau, die seit 5 Minuten hektisch auf mich einredet, nur meinen Impfausweis sehen will. Ehe ich mich versehe, sitze ich mit Papa Samuel, Papa Maik und Papa Kasapi in einem gelbgrauen Auto auf dem Weg in mein neues Zuhause. Als mich Sara und Dorcas noch bevor ich die Tür durchschreite zur Begrüßung in den Arm nehmen, weiß ich schon, dass sich dieser Ort auch sehr schnell so anfühlen wird. Meine Koffer schlage ich in einem wunderschönen Zimmer mit bunt bemalten Wänden auf und schlafe die erste Nacht erstaunlich gut.
Wie ein kleines Kind, frisch auf der Welt angekommen, muss ich die ersten Wochen Vieles lernen. Nicht nur das Einschätzen von Situationen und Menschen, die sich mit mir unterhalten wollen, sondern vor allem das, was selbstverständlich ist.
Tatsächlich ist Handwäsche keine angeborene Fähigkeit. Von der kongolesischen Geduld könnte ich ewig lernen; das wird mir bewusst, als wir zwei Stunden vor dem Laden auf die Verkäuferin warten müssen. Simple Flugrollen werden auf hartem Boden erstmal zur Herausforderung und ein Lichtschalter sollte auch ohne Strom ausgeschaltet werden, sonst wird man nachts schnell wieder wach. Nur Finger brauchen leider länger als zwei Monate, um sich an glühende Kohle und brandheiße Töpfe zu gewöhnen. Dafür verstehe ich schneller als ich dachte, wie man Zeit mit dem Herzen misst und lasse die Uhr oft in der Tasche, genaue Zeitangaben sind sowieso zur Seltenheit geworden. Ab und zu ärgere ich mich noch über mich selbst, wenn im Glauben viel zu spät zu sein, auf einmal die deutsche Nervosität in mir hochkocht; aber auch das werde ich lernen. Vertrauen ist das Geheimnis in vielen Momenten, davon bin ich überzeugt. Um sich auf eine neue Kultur einzulassen, braucht man das Vertrauen, nicht alles gleich verstehen oder nachvollziehen können zu müssen. Zeit ist wie Magie, irgendwann ergibt so Manches Sinn und den Unsinn lernt man lieben.
Wohlgefühl vom ersten Tag an: Die großzügige Herzlichkeit macht es leicht
Vergessen habe ich, seit wann der Alltag sich nach Normalität anfühlt. Wohl fühle ich mich in der Mutoto Familie in jedem Augenblick und dass ich nicht besser aufgehoben sein könnte, wird mir jeden Tag aufs Neue bewiesen. Offensichtlich habe ich großes Glück, denn im Dorf wohnen viele Jugendliche in meinem Alter, die ich alle einzeln in mein Herz schließe. Besonders schätze ich die großzügige Herzlichkeit und stetige Aufmerksamkeit in Bezug auf potenzielle Bedürfnisse, die dazu führt, dass ich mich nicht sichererer und gesehener fühlen könnte.
Mittlerweile habe ich meinen Rhythmus gefunden, jeden Morgen nach dem Frühstück gehe ich je nach Wochentag zur Schule oder zum Kindergarten. In der Schule unterrichte ich Englisch und Technologie in der 7. und 8. Klasse. Wie alle anderen Lehrer:innen auch, muss ich jeden Morgen meine Unterrichtsvorbereitungen vom stellvertretenden Schulleiter unterschreiben lassen. In der Regel werden die Inhalte vom Curriculum vorgegeben, manchmal bringe ich auch eigene Themen ein. Die Klassen sind wie erwartet viel größer als in Deutschland. Ich finde es aber noch überschaubar und kann schnell unterscheiden, wer im Unterricht sitzt und wer im Unterricht lernt, anders als in Deutschland ist das nicht. Dennoch fällt mir besonders auf, dass das Niveau innerhalb einer Klasse sehr heterogen ist. Das liegt daran, dass Eltern ihre Kinder manchmal für ein Jahr aus der Schule nehmen, oder die gesamte Grundschulzeit aussetzen, dann aber darauf bestehen, dass die Kinder altersgemäß auf die Klassen verteilt werden. Bildung kostet. Dass sie in Deutschland prinzipiell kostenlos ist, ist ein großes Privileg. Gewusst habe ich es schon vorher, verstehen tue ich es jetzt jeden Tag.
Dennoch habe ich das Gefühl, dass die Bevölkerung gut über die politische Situation und wirtschaftliche Lage des Landes informiert ist und bekomme beispielsweise immer wieder Diskurse über die Unabhängigkeit, Stärke und Rechte der Frau mit. Dementsprechend ertappe ich mich, wie ich mich darüber wundere, dass meine Freunde die Hälfte der Zeit dachten, ich trage meine Brille nur aus Mode, dass die Punkte in meinem Gesicht, nein, wirklich keine Mückenstiche, sondern Pickel sind oder dass es bei uns in Deutschland vier Jahreszeiten, Linienbusse, S-Bahnen und pausenlos Strom und Wasser gibt. Umgekehrt ist die Überraschung groß, dass ich zwar 12 Jahre umsonst in der Schule war, ein Handy und Maschinen für alles habe, aber noch nicht mal weiß, wie man richtig mit Feuer umgeht oder singt, denn wer bitte weiß nicht, wie man singt.
Gegen zwölf komme ich aus dem Unterricht und nehme mir meistens ein bisschen Zeit, um mich auszuruhen oder spiele beispielsweise mit den Kleinen. Anschließend helfe ich kochen, dabei ist meine Aufgabe oft, das Gemüse vorzubereiten. Es gibt jeden Tag Fufu, das ist eine Stärkebeilage aus Mais- und Maniokmehl, die für die kongolesische Küche sehr bedeutend ist. Die Fähigkeit, Fufu zubereiten zu können, gehört dazu, wenn man Zeit im Kongo verbracht hat. Dazu gibt es meist ein Blattgemüse, beispielsweise die Blätter der Süßkartoffel und ein bisschen Fleisch, oft Huhn oder Fisch. Die Küche ist außerhalb des Haupthauses, in einem kleinen Raum aus Stein und es wird über Feuer gekocht. Eine genaue Uhrzeit zum Essen gibt es nicht, es hängt davon ab, wer kocht und wann die Person angefangen hat.
Dienstag, Donnerstag und Samstag findet das Akrobatiktraining statt. Mutoto Chaud ist eine Zirkusgruppe von Kindern bis Erwachsenen, Frauen und Männern. Jeder der möchte, kann mitmachen. Die Offenheit ist mir sehr sympathisch und auch wenn ich bei vielem nicht mithalten kann, werde ich sofort integriert und finde dann doch immer jemanden mit ähnlichem Niveau. Üblicherweise wird das Training mit einem Fußballspiel eröffnet. Obwohl ich mein Bestes gebe, fliehe ich öfter vor dem fliegenden Ball, als dass ich auf ihn zurenne. Und ich dachte, jeder kann Fußball spielen. Anschließend geht es ins Training und einzelne Übungen werden in Szenen zusammengestellt. Begleitet werden die Szenen von kongolesischen Musikinstrumenten und einem Gesang, der noch lange nach meiner Reise nachts in meinem Gedanken schwirren wird; sehr viel Lebensfreude in wenigen Liedern.
Akrobatisch agiert Mutoto Chaud auf höchstem Niveau. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Artisten länger in der Luft sind als auf dem Boden. Für mich als zirkusliebender Mensch war Mutoto Chaud eine der größten Motivationen ins Village Mutoto zu reisen und letztendlich mein persönlicher Verbindungspunkt. Ein kultureller Austausch im Rahmen einer wundervollen Leidenschaft. Einerseits lerne ich wöchentlich neue akrobatische Figuren, Herangehensweisen und szenische Mittel. Andererseits kann ich meine Erfahrungen einbringen und in erster Linie den Zirkus durch das Element „Jonglage“ erweitern. Möglich gemacht hat das der beste Keulenproduzent, HENRYS aus Karlsruhe, der als er von dem Projekt gehört hat, ohne zu zögern 21 Keulen und 35 Bälle gespendet hat. Einen Riesendank dafür! Mit Freude ist es mir also möglich, Jonglage in das Projekt zu bringen. Das kunterbunte Material ist auf aufgeregte und glückliche Hände gestoßen und gehört nun fest zum Training. Erste Erfolge kann man schon in der ersten Woche beobachten und am Ende meiner Zeit können viele mit 3 Bällen jonglieren und passen, manche mit 4 Bällen und andere haben sich den Keulen gewidmet und beherrschen schließlich einige Tricks. Natürlich inszeniere ich eine Jonglagenummer und versuche bereits eingeübte akrobatische Abfolgen mit Jonglage zu verbinden. An den Wochentagen an denen Mutoto Chaud nicht trainiert, jongliere ich außerdem nachmittags mit den regulären Schülern im Sportunterricht.
Alles was nicht im Klassenraum stattfindet, fällt aus, wenn es regnet. Manchmal regnet es so stark, dass ich immer wieder erstaunt bin, wie viel Wasser vom Himmel kommen kann. Viele Straßen sind nicht asphaltiert, dementsprechend wird eine Autofahrt in der Regenzeit schnell zu einer Unterwasserfahrt inklusive Pfützenslalom. „Poto poto mingi mingi“ beschreibt den „vielen Schlamm“ auf Suaheli und ist einer meiner Lieblingsausdrücke. Im Gegensatz zum matschigen Boden, sind die Schuhe hier aber immer blitzeblank und an meinen dreckigen Schuhen kann man wohl am besten erkennen, dass ich noch nicht so lange im Land bin. An das Wetter und die Strom- und Wasserausfälle gewöhne ich mich problemlos, vergesse fast, dass es in Deutschland nicht in meinen Alltag gehört. Nichtsdestotrotz nehme ich den Einfluss dieser Umstände auf das lokale Leben immer wieder deutlich wahr. Über die Tagesplanung sollte man sich nie ganz in Sicherheit wägen. Hier kontrollierst du nicht das Leben, es kontrolliert dich. Ein Satz, der mir immer wieder bewiesen wird. Fußball wird geguckt, sobald der Fernseher läuft. Duschen mach ich eben später und auf das Heißwasser für den Tee warte ich noch ein wenig. Spontanität ist das beste Mittel, wenn Pläne keine Zukunft haben, also ist „offen bleiben“ die Devise. Bei mir klappt das mittlerweile ganz gut, finde ich. Dafür habe ich schon ein Bilderbuch wunderschönster Erlebnisse im Kopf. Nur so hat man die Chance bereichert zu werden und wenn nichts mehr geht, so würde meine Gastmutter Maman Aline sagen, dann bleibt der Tanz.
Tatsächlich ist Tanzen Teil meines Alltags geworden und ich bin begeistert. Sei es beim Training von Mutoto Chaud, nach dem Wäsche waschen, beim Warten auf’s Essen oder einfach so, abends hinten im Garten bei der Bank, bis die solarbetriebene kleine Box alle ist. Schon im Kindergarten spielt Tanzen eine große Rolle. Bei einem der schönsten Begrüßungsspiele kommt jedes Kind, eins nach dem anderen, in die Mitte und fängt an, auf seine ganz persönliche Art und Weise zu tanzen und das mit mehr Rhythmusgefühl, als ich es jemals hatte, das ist jedenfalls immer mein Eindruck. Ich muss selbst lachen, als ich beschreibe, dass ich in Deutschland zwar oft und liebend gerne tanze, ich damit aber meist nicht mehr als ein auf und ab Hüpfen zu lauter Musik meine.
Sonntags geht es in die Kirche
Sonntag ist bei uns Kirchentag. Ein echter “Tag”, da wir bis zu 6 Stunden in und bei der Kirche verbringen. Kirche, das ist bei uns eine offene Dachschräge unter der mehrere Stuhlreihen stehen. Gegen 10 Uhr füllt sich das Bild mit farbigen Kleidern und Tüchern der Frauen und manchmal auch der Männer. Der traditionelle Stoff “Pagne” ist bunt und mit allem Möglichem bemustert. Gleich in den ersten Tagen wird mir ein Kleid passend zum “Weltfrauentag” geschneidert, denn an diesem Tag tragen alle Frauen “Pagne” und zelebrieren ihre Stärke. Meine Liebe zu schönen vollen Farben steht im Einklang mit der traditionellen Kleidung und ich lasse mir begeistert in meiner Zeit in Lubumbashi noch einige Stücke schneidern.
Der Gottesdienst ist in vielerlei Hinsicht lebhafter als in Deutschland, mit mehr Gesang und einem Tanz, der von Herzen kommt. Ich spüre, dass die Kirche im Kongo einen anderen gesamtgesellschaftlichen Stellenwert hat. Mir scheint, Religion ist kein Teil des Lebens, viel mehr bestimmt sie das Leben und somit ist die Kirche für alle ein Ort der Gemeinschaft, des Austauschs und der Sicherheit. Die Gemeinde ist eine zweite Familie, doch das wundert mich längst nicht mehr, denn ich komme mir sehr deutsch vor, wenn ich den Begriff Familie noch an der Blutlinie festmachen will. Hier kann jeder dein Bruder sein, wenn die seelische Verbindung stimmt. Das Bruder- oder Schwester-Sein ist vielmehr ein Zeichen der Anerkennung. Ich verbringe also einige Zeit damit, witzelnd um den Orden des ältesten Geschwisterkindes zu streiten, denn wenn es schon zur Debatte steht, dann bin ich natürlich die große Schwester.
In die Kirche geht praktisch jeder, den ich kennengelernt habe. Je nach Gemeinde kann sich Tag, Uhrzeit und Gottesdienst jedoch unterscheiden. Der Glaube an Gott scheint universell und obwohl es verschiedene Religionen im Kongo gibt, steht das Christentum zweifellos im Vordergrund. Nichtsdestotrotz werden Bräuche und traditionelle Werte und der Glaube zeitgleich ausgelebt. An einem Sonntag werden wir als Gemeinde spontan auf eine Verlobungszeremonie eingeladen. Ich muss grinsen, als ich wenige Stunden später in einem überfüllten Wohnzimmer sitze und zusehen darf wie Ölfässer, Fischbehälter und zwei Ziegen durch den Raum geschleppt werden. Bei der “Dote” handelt es sich um ein Verlobungsgeschenk des Bräutigams an die Eltern seiner zukünftigen Braut, um diese heiraten zu dürfen. Dabei handelt es sich beispielsweise um Nützliches für den Haushalt, Essen, Kleidung für die Eltern und Geld. Die Liste an gewünschten Dingen kann sehr individuell sein und je nach Forderungen muss der Bräutigam über eine längere Zeit dafür sparen. Dennoch ist es eine Tradition, die vor allem Freude bereitet und rückblickend eines meiner Lieblingserlebnisse. In einer Art Rollenspiel, auf welches sich beide Seiten einlassen, um die Aufregung zu steigern, täuscht die Familie der Braut vor, nicht zu wissen, wofür die Gruppe gekommen ist, geschweige denn wer der Bräutigam ist. Erst nach langem Hin und Her darf die Braut zum Vorschein kommen. Anschließend bietet die Familie der Braut reichlich Essen und Getränke für alle – ich werde mitgerissen von der Stimmung und summe die Töne der Musik in dieser Nacht im Traum weiter.
Kleine Malaria-Attacke bremst nicht die Neugier auf das Stadtleben
Eine Woche später, als ich morgens aufwache, tut mir alles weh. Um sicherzugehen, werde ich sofort ins Krankenhaus gefahren und in der Tat ist es Malaria. Ich bin aber eher erleichtert, dass mein Schmerz benennbar ist und werde umgehend sehr gut ärztlich behandelt. Die Krankheit ist hier keine Seltenheit und die lokalen Ärzte wissen dementsprechend am besten, wie man mit ihr umgeht. Ich kann es kaum abwarten, wieder fit zu sein, um am alltäglichen Geschehen wie gewohnt teilzuhaben. Alltag, das sind nicht nur Mutoto Chaud und Schule, sondern auch die kleinen Spaziergänge, um in den Lädchen des Viertels Weißbrot, Gemüse und Eier zu kaufen. Im Allgemeinen spüre ich meine wachsende Neugier, rauszugehen und möglichst viel von dem Land in mich aufzusaugen. Ich liebe es, in die Stadt zu fahren, erst recht, wenn wir beschließen, die Öffis zu nehmen und ich kurz darauf in einem überfüllten, abgenutzten gelben Minibus sitze und das Straßenleben beobachten kann. Die Kreativität der Autodachkonstruktionen ist für mich wie Dauerkino. Die städtischen Straßen sind voll, laut und wimmeln vor Menschen, die alle in unterschiedliche Richtungen wollen. Wenn die Sonne um 17 Uhr ihre goldene Stunde scheint, die immerselbe Musik meine Ohren beschallt und sich die Düfte des nächsten Marktes in meiner Nase verfangen, dann singt mein Herz vor Kitsch.
Mein Gastvater Samuel hat mal gesagt, als wir über ein besonders großes Schlagloch gebrettert sind, „dass hier im Kongo, dich die Straßen tanzen lassen“ und es ist einer dieser Sätze, der mir noch ewig im Kopf bleiben wird. Mit den verwunderten Blicken und Rufen kann ich von Mal zu Mal besser umgehen, manchmal kann ich auch mit ein paar Wörtern Suaheli punkten. Obwohl ich mich auf Französisch mit den meisten unterhalten kann, bemerke ich, dass es für mich als Europäerin auch von symbolischer Relevanz ist, Suaheli zu lernen, denn die Kolonialsprache gilt noch zu oft als die Sprache des Erfolgs und selbst der Schulunterricht ist lediglich auf Französisch. Was für mich durchaus praktisch ist, ist jedoch ein Zeichen kolonialer Einflüsse, das die Abhängigkeit und Hierarchiegefühle gegenüber Europa bestärkt. Die Kolonialgeschichte prägt bis heute den Alltag und die Wahrnehmungen der Kongolesen. Mir fällt auf, dass große Besitztümer meist Belgiern oder anderen Ausländern gehören und Fremde sind von mir positiv überrascht, denn ich sei „anders als die anderen Europäer:innen“ – für mich eher ein mulmiges Gefühl, da ich denke, dass ich eine ganz normale deutsche 19-Jährige bin.
Begegnungen mit vielen Menschen – Träume, Wünsche und Visionen
Durch die verschiedenen Ausflüge habe ich die Chance viel von der Stadt zu sehen. Alte sowie neue Teile, die ärmeren Viertel und das Viertel der Superreichen. Auch die Tore der teuren Universitäten werden mir gezeigt. Eines Tages habe ich die Chance das städtische Museum zu besichtigen und gehe mit dem Kindergarten auf den Gemüsehof und in den Zoo. Auf der anderen Seite bin ich auch beim Einkauf im Steinbruch dabei – ein Ort an den man als letztes geht, um Arbeit zu finden. Mein Gastvater gibt sich große Mühe, mir ein transparentes Bild von der Region zu verschaffen und redet mit mir viel über den Kongo, das schätze ich sehr. Ich lerne einen Anwalt kennen, der sich auf Umweltrecht spezialisiert hat und höre gespannt und wie gebannt zu, wenn er etwas von seinem Wissen an mich weitergibt. Besonders freue ich mich über die kongolesischen Bücher, die er mir ausleiht, denn es gibt mir das Gefühl, die Kultur auf verschiedenen Ebenen erfahren zu können. Ich spüre, dass die Bevölkerung zwischen Tradition und Modernität lebt, zwei Pole, die manchmal besser und manchmal schlechter zusammenpassen.
In den zwei Monaten meines Aufenthaltes in Lubumbashi begegne ich Menschen mit Träumen, Wünschen und Visionen. Jugendliche, die mir davon erzählen, dass sie gerne eines Tages das Unigelände nicht nur zum Spazieren betreten würden. Mütter, die hochmotiviert sind, Englisch zu lernen. Ein Mädchen, das die coolste Rapperin werden wird und eine Frau, die davon träumt, ein Aufklärungszentrum aufzubauen. Kindergärtnerinnen, die wissen, dass sie die Gesellschaft von morgen vor sich haben und einen Vater, der seine Kinder nach Europa fliegen will, aber nur um es ihnen zu zeigen – um durch die Straßen zu fahren und zum Supermarkt zu gehen – nicht um zu bleiben, denn die Zukunft liegt im eigenen Land. Ein Problem im Kongo ist der Umgang mit dem Reichtum des Landes, denn reich ist es, das höre ich oft, es sind nur nicht ausschließlich die Kongolesen, die an Handys interessiert sind. Ich treffe auf BürgerInnen einer Nation, die so viel mehr bieten kann und es satt hat, auf einen Krieg reduziert zu werden, der ohne westliche Großmächte nicht so laufen könnte. Noch lange werde ich von meiner Zeit im Kongo erzählen. Ein Land über das zu wenig gewusst und zu viel gestritten wird.
Am vorletzten Abend sitze ich im Dunkeln mit meiner Gastmutter draußen und schaue zu wie der Riesenberg an angesammelten Plastikflaschen verbrennt. Für mich ist es mein Abschiedsmoment. Das war mein Lebenszeichen im Village Mutoto, denke ich. Am letzten Abend wird für mich am Feuer gesungen, das ist eine Tradition für alle Gäste des Dorfes. Es fühlt sich falsch an zuzuschauen. Also stehe ich auf, stelle mich in die Gruppe und fange an mitzusingen.
Zurück in Hamburg denke ich an Euch, an das Lachen mit Amani, Kochen mit Packo, Tanzen mit Sara, an das Lächeln von Lilo, an Dorcas‘ Umarmungen und die Musik von Costa zuhause und Marcus im Auto. Manchmal schmiere ich morgens aus Versehen ein Brot zu viel, in Gedanken an Samuella und Alina. Und manchmal denke ich, dass ich es irgendwie schaffen muss, eines Tages wieder da zu sein.
Urini manquer!“
Comments by Gunda Klöpping